Da fehlt das Auto, im Beitrag vorher...

Bei mir, was jetzt folgt, kommt eins vor. Und eigentlich passte es auch zu einem Beitrag woanders, weil da b.t.w. auf politische Stimmung
Bezug genommen wurde. Meine Schilderung wird aber recht detailliert, so dass es hier deutlich besser reinpasst.
Gestern Abend, also noch ganz frisch.
Ein Erlebnis, was in meinen Reigen "Phishing for
Kompliments" nicht ganz reinpasst... Drum "verstecke" ich dieses Erlebnis hier.

Gestattet mir, wenn ich etwas aushole (aber immer noch gekürzt), nicht zuletzt, um meine eigene Stimmung zu transportieren und meine nur recht begrenzte Aufmerksamkeit für Reize von aussen zu beschreiben, und dass ich trotzdem recht souverän gehandelt habe. Und noch jemand anders recht souverän war.
Also: ich "kurz vor knapp" nehme mir das letzte Zeitfenster, um noch mit ÖPNV mein Abendvorhaben realisieren zu können. So knapp bin ich nicht, also wähle ich den einfachsten, realistischsten Weg. An der ersten Zwischenstation aber mit Zeitpuffer angekommen, sehe ich, dass die sicher geglaubte Straßenbahn irgendwie nicht fährt. Und ich meinen dazugehörigen Anschlusszug verpasse.
Also stehe ich an der Tram-Haltestelle und bemühe mein Handy, ob der Alternativweg noch funktioniert. Vermutlich nicht, denn dann hätte ich bereits vor einem knappen Kilometer mich für eine komplett andere Gehrichtung entscheiden müssen. Mit der nahezu perfekten Gewissheit, dass mein Abendvorhaben nicht mehr funktioniert, entdecke ich, dass es noch einen anderen dritten Weg gibt, der mir so noch nicht für mein Ziel bekannt war. Da müsste ich zeitnah, vermutlich jetzt, mich aber noch per Fuß in eine nochmal ganz andere Richtung aufmachen. Stimmt das? Reicht die Zeit noch?
Währenddessen kam eine kleine Gruppe von Schulfreunden oder Sportsfreunden an diese Haltestelle an. Sonst menschenleer. Die drei, vier Jungs schätzte ich auf etwa 13. Die blöken untereinander. Ich beachtete sie nicht weiter. Ich war ja in Gedanken versunken, musste Entscheidungen treffen, gleichzeitig mochte ich das erfrischende Spiel des Windes mit meinem Kleid. Manchmal kommen kurze laute ausgestoßene Wörter aus dem Wartehäuschen hervor. Wiederholt höre ich mit halbem Ort irgendwas mit "Penis". Das sind zwar Themen, die so teils pubertierende Jungs allmählich beschäftigen - und die, die noch nicht so weit sind, werden eher ahnungslos da mitgerissen; so war das bei uns damals ja auch. Aber ich war mir ziemlich sicher, Anlass des Geblökes ist meine Anwesenheit.
Ich beschäftigte mich gerade angestrengt mit den Fragen: "Stimmt das?" (funktionierende Alternativroute), "Reicht die Zeit noch?"
Und da kam einer der Jungs die 15, 20 Meter auf mich zu und fragte: "Entschuldigung! Wieviel Uhr ist es?"
Es war vermutlich nicht der stärkste der Jungsgruppe. Hellblond, blass, feine Gesichtszüge, ad-hoc keineswegs unsympathisch. Vermutlich eine sich selbst auferlegte Mutprobe vor den Augen der anderen.
Ich lasse meine Routen-Gedanken fallen und lächle ihn - vielleicht leicht höhnisch - an und sage:
"Das weisst Du doch ganz genau!" - Er: "Nein!"
Und diese Art, wie er dieses Nein seigte - obwohl er mit Sicherheit log - fand ich erstaunlich souverän. Ich schaute auf mein Händy und las vor: "18 Uhr 38". Er sagt "Danke" und geht zurück zu seinen Jungs.
Ich krame meine inneren Gedanken wieder hervor: "Stimmt das? Reicht die Zeit noch?"
Und da spielt ein offenes Fenster des ersten wartenden Autos vor einer roten Ampel eine Rolle.
Von der schmalen Fahrbahn hat man einen guten Blick durch das Plexiglas und über das Geländer auf das erhöhte Haltestellenniveau. Und an das Geländer hatte ich mich ja angelehnt mit meinen angestrengten Gedanken im Kopf.
Durch das Fenster ruft ein etwa 70jähriger Mann mit vertraut heimatlichem Dialekt, das ich aber nicht verstand, weil gerade die Tram in Gegenrichtung hinter mir einfuhr.
Also wartete ich vier, fünf Sekunden ab - obwohl ich besseres zu tun gehabt hätte -, hielt den Blickkontakt mit dem rufenden Autofahrer und fragte freundlich zurück: "Entschuldigung, es war gerade zu laut. Was, bitte?"
"Du wirst noch lernen, die AFD zu lieben! Denn das ist die einzige Partei, die Dich wirklich schützt!"
Ampel grün, Auto fährt los, ich lass meine zum Parabolspiegel geformte Hand etwas unachtsam vom Ohr auf das Geländer niedersinken, vermutlich hätte ich ihm noch, nicht unfreundlich, nachgerufen "Vielleicht!", ohne das mit der Inbrunst einer Überzeugung zu tun.
Nun ist dieser Kommentar aus dem Auto mit Sicherheit kein Kompliment.
Es ist aber auch keine Botschaft, die niederschmettert. Ich habe diese Botschaft innerlich souverän aufgenommen, gleichwohl wissend, dass sie sehr unterschiedlich zu deuten ist.
Ich möchte mit Euch hier nicht über die möglichen Interpretationen diskutieren. Denn jeder hat aufgrund seiner Überzeugung ganz unterschiedliche Sichtweisen, diese Botschaft zu deuten.
Ich möchte Euch aber hier nur zeigen, wie politische Stimmungen auf ganz unterschiedliche, vielleicht überraschende Weisen sich äußern können.
Übrigens: die Zeit reichte noch. Ich habe die überraschende 3. Alternative meines Wegs noch realisiert bekommen. Ich habe sogar noch meinen Anschlusszug gesehen, 3 km von der anderen Seite. Er hatte deutliche Verspätung. Ich hätte ihn also noch gekriegt. Aber ich wäre keine Minute früher angekommen, als über diesen für mich neuen Weg das nun klappte. Abendvorhaben realisiert. Alles gut!
(das dazugehörige Outfit ist zu sehen an geeigneter Stelle)