Hallo zusammen!
Nachdem ich mich hier
http://www.rockmode.de/index.php?topic=2766 schon nicht zurückhalten konnte und mich Luan schon richtig darauf hingewiesen hat, hier nun also mal etwas über mich...
Ich bin Baujahr 70 und im realen Leben selbstständiger Computernerd mit eigener Firma, wo wir jetzt zu sieben Leuten sind. Wir entwickeln Software, vor allem freie Software (sog. Open Source) und sind es dabei schon fast gewohnt, etwas gegen den Strom zu schwimmen, nicht zu sein wie andere und nicht nur mit $$ Zeichen in den Augen den Monitor anzugucken

Die Beschäftigung mit Technik und vor allem Computern lag mir irgendwie immer schon, weshalb ich dies dann also auch studierte und zum Beruf machte. Ich bin also naturwissenschaftlich-technisch orientiert. Ich tendiere dazu, für alles einen Grund oder Funktionsprinzip zu finden. Eine reine Meinung ohne Begründung empfinde ich als unbefriedigend. Ich schreibe dies an dieser Stelle, weil mit dieser Eigenschaft im Hinterkopf vielleicht die ein oder andere nun folgende These/Ausführung etwas verständlicher wird...
Die große VerwirrungIch glaube, daß fast alle Mitglieder dieses Forums eine gewisse Unsicherheit verspüren - genau wie ich, möchte ich hinzufügen. Tief in uns verspüren wir eine Art Drang oder Wunsch etwas zu tun, was anscheinend sonst keiner macht. Dies sorgt für Unsicherheit und Verwirrung - warum möchte ich das? Bin ich verrückt? Oder sind es alle anderen vielleicht? Und was möchte ich überhaupt wirklich? Ist es falsch, was ich da möchte? Bin ich "abartig" oder gar krank? Wenn ich doch "normal" bin, warum bin ich dann, vielleicht auch nur gefühlt, der Einzige?
In weiten Teilen ist dies, genau darüber nachgedacht, vollkommen irrational - herrjeh, wir reden hier letztenendes über ein Stück Stoff, das wir uns um den Bauch binden!?
Aber ist es wirklich so einfach? Ich glaube nicht.
Wir alle haben eine gehörige Sozialisation durchlaufen und verbinden mit Gegenständen viel mehr als nur ihre reine Sachlichkeit als Ding. Gegenstände könne Bedeutungen und Funktionen haben, sie können zugeordnet werden, zu anderen Gegenständen, zu Personen, Eigenschaften oder eben auch Geschlechtsspezifika - ohne jede Wertung, ob dies nun gut oder schlecht, gerecht oder falsch sei - es ist ersteinmal so. Unsere Sozialisation und Erfahrung hat uns über Jahre Muster gelehrt, die uns helfen, den Alltag zu bewältigen. Was passiert, wenn an diesen Grundfesten unserer Persönlichkeit gerüttelt wird sieht man gut, trauriges Beispiel, an beginnenden Demens-Kranken. Anfänglich bekommen sie noch bewußt mit, wie ihr Bewußtsein schwindet, wie Erinnerungen an die sie sich noch Erinnern, also das sie mal da waren, auf einmal verschwinden. Wenn die Familie fremd wird, aber der Familienbegriff noch vorhanden ist - wenn also Erfahrungen des ganzen Lebens auf einmal fundamental in Frage gestellt werden.
Die Folge ist nicht ein Achselzucken oder bloßes "ich weiß nicht". Es ist unendliche Verzweiflung, Traurigkeit und große Verwirrung, weil auf einmal nichts mehr Sinn zu ergeben scheint.
Ganz so schlimm ist es bei uns nicht, aber ich denke dennoch vergleichbar. Wir haben zumeist eine Sozialisation von mindestens 15-20 Jahren hinter uns, die uns ein bestimmtes Bild von Mann und Frau vermittelt hat. Dieses Bild beinhaltet nicht nur Kleidung, sondern auch viele weitere Facetten - Verhalten, Rollenclichees, Selbstverständnis, etc. Es ist unsere Leitschnur, unser Modell, mit dem wir bewerten, ist eine Person männlich, weiblich oder etwas unerklärlich seltsames dazwischen. Treffen wir auf das "dazwischen" rütteln wir an unserem Fundament, unser 20 jähriges Sozialisationsgebäude beginnt zu wanken. Nur warum ist das so? Macht diese Trennung wirklich irgendeinen Sinn? Insbesondere heute?
Weiblich? Männlich?Es mag sein, daß es in früheren Zeiten durchaus Sinn gemacht hat, die Geschlechter relativ eindeutig nicht nur danach zu differenzieren, wie ihre Körper gebaut sind, sondern auch welche praktische Rolle sie im Alltag einnehmen. Ohne Chauvinismus und rein biologisch betrachtet kann eben nur die Frau Kinder gebären und diese mit ihrer Milch in den ersten Monaten versorgen. Also war es praktisch, daß die Frau sich eher in oder an der Wohnstätte aufhielt, um den Nachwuchs aufzuziehen, während der Mann sich um den Lebensunterhalt kümmerte.
Doch das ist schon lange her! Spätestens seit der industriellen Revolution ist dies keine Notwendigkeit mehr aber die Rollenverteilung wurde weiter aufrecht erhalten, jedoch in den folgenden Jahren immer weiter Sinn entleert. Realistisch betrachtet gibt es heute für Frauen und Männer, bis auf einen relativ kleinen Zeitraum um das Ende der Schwangerschaft, keinen nennenswerten Grund, nicht die Rollen zu tauschen. Es gibt nichts, was eine modern Frau nicht könnte, was ein Mann kann und umgekehrt - Frauen arbeiten hart und körperlich auf Bohrinseln im Nordmeer während Männer Ballettänzer sind.
Doch noch immer haben wir diesen Balken im Hirn - männlich vs. weiblich. Hinzu kommt nun auch die sozialisierte Komponente von Attributen, die wir meinen eindeutig männlich oder eindeutig weiblich zuordnen zu können - Röcke/Kleider -> weiblich, Makeup -> weiblich, Schmuck -> weiblich, etc.
(Was wäre eigentlich in diesem Zusammenhang ein passender Vergleich -> männlich? Bierbauch -> männlich?

Worauf ich hinaus will sind zwei Punkte. Erstens, wir haben noch eine irrational feste Geschlechtertrennung im Kopf, die nicht mehr in unsere Zeit paßt. Und zweitens bringen wir auch noch recht alltägliche äußere Erscheinungen damit stark in Verbindung. Beides entbehrt jeder rationalen Grundlage - es gibt dafür keine reale Notwendigkeit oder praktischen Nutzen. Es ist aber so tief in uns verwurzelt, daß wir in persönliche Nöte geraten, wenn daran gerührt wird - wir selbst, die wir es tun, weil wir dann an uns selbst (ver-)zweifeln, und Dritte, die wir damit verunsichern.
Geschlechtsmerkmale - In Stein gemeißelt?Es ist sicherlich gut, an diesen Grundfesten zu rütteln und sie endlich von dem Staub der Jahrhunderte zu befreien, der auf ihnen lastet. Denn eines steht sicherlich fest, was wir in westlichen Zivilisationen an Äußerlichkeiten als männlich oder weiblich empfinden, hat einzig und alleine mit Sozialisation zu tun. Andere Länder andere Sitten - betrachtet man Naturvölker in Urwäldern, so haben auch diese geschlechtsspezifische Rollenverteilungen, zumeist noch jene aus den Eingangs erwähnten rein praktischen Erwägungen, aber die äußere Gestaltung ist teils vollkommen anders. Ureinwohner des Amazones haben fast gar keine geschlechtsspezifischen Äußerlichkeiten, bei anderen Völkern ist es unseren westlichen Zivilisaitonen ähnlich, also daß eher der Frau das feinere, festlichere und "geschmücktere" zukommt, bei den Massai in Afrika ist es genau umgekehrt, dort machen sich die Männer hübsch für die Frauen (gut - nur für die Brautwerbung, aber immerhin).
Ich bin mir also recht sicher, daß das was wir, von den anatomischen Merkmalen abgesehen, als äußere Geschlechtsmerkale erachten, keine Naturgesetze sind. Es ist nichts fest vorgebenes, es ist gemacht, von uns gemacht, Regeln die wir selbst aufstellen und denen wir uns selbst unterwerfen, um unseren Alltag etwas einfacher meistern zu können.
Die Crux der KonventionenDer große Vorteil dieser Konventionen ist, daß sie es uns ermöglichen, in unserem Alltag blitzschnell zu reagieren. Wir können schnell Situationen einschätzen, andere Menschen einschätzen und so mit einer gewissen Erwartungshaltung in unseren Alltag gehen. In den allermeisten Fällen verhält sich alles wie gewohnt und wie es zu erwarten war. Ist es nicht so, wird es sehr anstrengend. Wir müssen viel mehr Faktoren abwägen und überlegen, was wohl als nächstes passieren wird. Ohne Konventionen und damit verbundene Regeln wäre unser Alltagsleben kaum vorstellbar.
Manche dieser Konventionen und Regeln sind, weil sie für sehr wichtig erachtet wurden, niedergeschrieben und heiße Gesetze. Dadurch wissen wir ganz genau, wie sich bestimmte Dinge zu entwickeln haben - das bspw. Autos rechts und nicht links fahren. Könnte jeder fahren wo er wollte, obwohl es gewiß eine tolle Freiheit wäre, wäre ein geregelter Straßenverkehr undenkbar.
Regeln, wie die des Straßenverkehrs, sind rational nachvollziehbar, machen absolut Sinn und sind schwarz auf weiß nachlesbar, für jeden begreifbar und für jeden verbindlich. Gesellschaftliche Konventionen hingegen sind nicht festgeschrieben und in der Regel weder nachvollziehbar noch begreifbar. Sie sind einfach da und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Ein Hinterfragen oder gar Anzweifeln grenzt an Ketzerei - "Das haben wir immer schon so gemacht!". Wie sollte auch der Verfechter dem Zweifler sonst begegnen?
Aber genau das machen wir hier. Wir rütteln und schütteln an Konventionen unserer westlichen Kultur - nicht mehr und nicht weniger. Das Dumme dabei ist, weil es tradierte Konventionen sind, können wir nicht dagegen argumentieren - dies ist wie der Kampf gegen die Windmühlen. Es gibt keine Argumente dafür, aber auch keine dagegen. Was aber eben auch nicht bedeutet, daß wir einfach losmarschieren können wie wir wollen, denn wir leben in einer Gesellschaft und müssen auch unseren Mitmenschen, die noch in diesen Konventionen verwurzelt sind, Respekt entgegen bringen. Respekt, den wir dann aber auch in gleichem Maße für Toleranz und Offenheit einfordern sollten.
Was ich damit sagen will, langer Rede kurzer Sinn, "mir gefällt's, was andere sagen ist mir egal" ist meiner Meinung nach viel zu kurz gegriffen. So einfach sollte man es sich nicht machen. Auf einer einsamen Insel vielleicht, aber nicht in Mitten einer großen Gesellschaft. Die ehemalige Ostpolitik der BRD hatte das Motto "Wandel durch Annäherung" - dies wäre vielleicht auch ein gutes Motto für Unsereinen. Es hilft nicht, unsere Mitmenschen mit schrillen Outfits vor den Kopf zu stoßen. Damit schaffen wir keine Akzeptanz, höchstens ein verwirrtes und eher abwertendes Kopfschütteln. Zumindest mir ist aber an einer grundsätzlichen Akzeptanz gelegen - ich möchte in der Lage sein, mit Rock und ggf. auch mal etwas feineren fast femininen Schuhen und eher figurbetonter Oberbekleidung in die Öffentlichkeit zu gehen und dies so normal, wie dies heute eine Frau auch kann. Ich möchte dabei nicht Frau sein und auch nicht "weiblich", sondern einfach "ich". Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, ob ich vielleicht auch mal eine FSH und / oder Absätze tragen "dürfte", warum auch? Es gibt keinen sachlichen oder biologischen Grund dies nicht zu tun. Das braucht aber Zeit und stetige langsame Wandlung, damit langsam ein Verständnis wächst.
Ach Du meine Güte - ich bin eine Labertasche, liest eh kein Mensch...
Das war Teil-1 über mein Geschlechterverständnis bzgl. Kleidung und insbesondere eben der Röcke - auch wenn ich sie explizit nicht so arg erwähnt habe.
Die Tage kommt noch ein Teil-2 über meinen Modegeschmack - hmm... blödes Wort - sagen wir eher, meine Präferenzen und und bischen Erklärung dazu...
Grüße
nils