PS: sprecht ihr euch unbekannte Rockträger an?
In der Regel nein.
Es mag mal Ausnahmen geben, wenn die Situation sich ergeben sollte. Dann kann man z.B. kurz und knapp sagen "cooler Rock!" oder "da hat jemand Mut!" oder dergleichen, alles mit einem augenzwinkernden Unterton, dass deutlich wird, dass man das Lob, das man erteilt, gleichzeitig quasi sich selbst erteilt.
Meist ergibt es sich aber nicht aus der Situation. Und extra hinterherlaufen, um jemanden unbedingt anzusprechen, halte ich für aufdringlich und eher kontraproduktiv. Ich drücke es mal so aus: ein rocktragender Mann sollte meiner Meinung nach nicht häufiger und intensiver einen anderen unbekannten Rockträger ansprechen, wie eine Frau im Tüllrock eine andere Frau im Tüllrock ansprechen würde.
Mir ist bei solchen Begegnungen mehr daran gelegen, dass beteiligte Begleitpersonen (wenn vorhanden) die Möglichkeit haben, mich zu erblicken. Oder er mich selbst. Meist ist das je nach Situation aber auch nicht möglich.
Drum ist mir bei solchen Begegnungen insbesondere daran gelegen, die Anzahl der Menschen zu erhöhen, die sowohl ihn wahrgenommen haben als auch mich wahrgenommen zu haben. Das ist die beste Werbung dafür, dass auch für Männer ein hosenloses Konzept möglich ist. Denn zwei auf einen Schlag setzt ein deutliches Signal, dass es sich hier nicht um trostlos verlorene Einzelspinner handelt, sofern sie unabhängig voneinander auftreten.
Insofern ist eine Ansprache in der Wirkung bei beobachtenden Mitmenschen eher kontraproduktiv. So wirkt eine Ansprache dann schnell wie eine (vorherige) Absprache.
Die Möglichkeit, die Zahl der Menschen, die zwei Rockträgern von einander unabhängig begegnet sind, zu erhöhen, ist auch der Grund, weshalb bei unseren Rocker-Treffen es mir immer fast am liebsten ist, dass wir Rocker möglichst viel Zeit unabhängig voneinander in der betreffenden Stadt unterwegs sind, damit die Häufung von Rockträgern mehr nach "Trend" als nach "Absprache" aussieht.
Je nach Situation, versuche ich bei zufälligen Rockersichtungen, die Zahl der Menschen zu erhöhen, die ihn gesehen haben und die mich gesehen haben oder noch sehen werden. So versuche ich, den wahrscheinlichsten Weg zu nehmen, den der andere Rocker gegangen ist, um noch ein paar Passanten von ihm zu erreichen oder an den Straßencafés in den nächsten Straßenzügen vorbei zu laufen. Notfalls kann man auch mit größerem Abstand, 1, 2 Minuten nach ihm den ungefähr gleichen Weg nehmen. Sowas geht natürlich nur, wenn man über entsprechende Muße und momentane Flexibilität verfügt.
Eine Ansprache des Rockers würde für einen Großteil der Leute, die uns tatsächlich beide wahrgenommen haben, eher als eine konzertierte Aktion (Absprache, vorherige Kenntnis von einander, geplanter Gag) vorkommen und den Wert des tatsächlich Zufälligen deutlich mindern.
Ausserdem weisst Du nicht, wie der Rockträger selbst drauf ist. Vielleicht tust Du ihm damit keine Freude. Vielleicht will er einfach nur in Ruhe seine Kleidung tragen. Vielleicht reduzierst Du mit Deinem Verhalten sogar die Akzeptanz des Rockträgers bei seinen Begleitpersonen. Vielleicht verkörperst Du - ich sollte mal von mir wieder reden - vielleicht verkörpere ich möglicherweise genau jenes Bild eines Rockträgers/Kleidträgers, vor dem seine Begleitperson(en) immer Angst hatten, dass ihr Rocker so rumlaufen könnte. Aus dem freundlich gemeinten Akt des Ansprechens wird vielleicht ein Moment der höchsten Peinlichkeit in den Augen des Rockträgers und seiner Entourage.
Das alles weiß man nicht. Drum sollte man kurz an all das mal denken, ehe man - je nach Situation - einen gesichteten Rockträger anspricht.