Liebe Lea,
jetzt habe ich zumindest mal alles schnell gelesen, also nicht ganz so gründlich, aber ich muss ja auch noch arbeiten.
Dein Argument, jeder solle doch so sein und das tragen, wie er es mag, aber nicht Dein Vater, erinnert mich an dieselbe Argumentation meiner Mutter, als ich meine Rockvorliebe vor 17 Jahren ihr gegenüber outete. Sie meinte auch, das solle jeder machen, wie er es wolle, aber ich doch nicht. Da fragte ich sie, ob denn ihrer Meinung nach andere Männer mehr Rechte hätten als ihr eigener Sohn. Das verneinte sie natürlich, und schon hat sich mich unterstützt. Sie war dann echt klasse, auch als sie später im Altersheim war, kritischen Mitbewohnerinnen gegenüber!
Zu der Knopfleistenseite habe ich auch mal die Geschichte gelesen, dass im 19. Jh. die Uniformjacken natürlich rechts geknöpft waren, weil man mit der rechten Hand hineingreifen können musste, um z.B. eine Pistole herauszuholen. Demzufolge hätte man sie für Linkshänder anders herum schneidern müssen, aber zu der Zeit hat man ja noch versucht, Linkshänder mit Gewalt zu Rechtshändern umzuerziehen. Eine Fehlproduktion soll es mal gegeneben haben, bei der die Jacken links geknöpft waren. Die seien dann nicht brauchbar gewesen und zur Frauenkleidung degradiert worden sein. Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt.
Naturbursche zu sein und Röcke zu tragen, schließt sich ja auch nicht aus. Schau Dir "Braveheart" an, dann siehst Du es. Oder schau Dir mal "Troja" an. Das ist einfach eine Wonne zu sehen, wie im alten Griechenland Männer Röcke und Kleider trugen und dabei doch geanau so männlich aussahen, wie Du es Dir vorstellst!
Feinstrumpfhosen oder -leggins sind natürlich keine Kleidung für harte körperliche Arbeiten, da sie viel zu schnell kaputt gehen. Aber auch der hart arbeitende Bursche, sei er Holzfäller oder Bauarbeiter, hat ja mal Feierabend. Und die meisten Männer in unserer Gesellschaft arbeiten in Büros an Schreibtischen.
Stiefel übrigens sind noch gar nicht so lange Damenkleidung. Was stellst Du Dir unter foldender Kombination vor: Schaftstiefel, enge Hose, kurze Jacke? Eine Frau? Ja, heute sieht man so gekleidet vor allem Frauen. Aber schau Dir mal das Bild hier an:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Husar_Akhtyr_Regiment.png oder das
https://de.wikipedia.org/wiki/K.u._Landwehr_(%C3%96sterreich-Ungarn)#/media/File:K.u._Honved_Husar.pngAber es ist auch meiner Meinung nach so, wie viele es hier schon schrieben: Die Zuschreibung der Kleidung als männlich oder weiblich ist in vielen Fällen historisch gewachsen, aber jeder Mensche wächst in einer konkreten Gesellschaft mit gerade üblichen Moden auf, nimmt das, was er so alltäglich wahrnimmt, als Normalfall und Abweichungen davon als komisch, exotisch, abartig, unnormal, fremd usw.
Nun sollten wir in unserer (post)modernen Gesellschaft weiter sein und - wie wir Rheinländer sagen - jeden Jeck anders sein lassen.
Du schreibst von Schwuchtelrufern. Ich finde, dass sich jemand, der das Wort "Schwuchtel" verwendent selber disqualifiziert. Er zeigt damit eine Homophobie, die leider in Teilen unserer Gesellschaft immer noch als gesellschaftsfähig gilt. Jugendliche probieren sich aus und verwenden auch mal solche Wörter als Schimpfwörter: "Schwuchtel", "Spasti", "Nigger", "Spaghettifresser", "Schlampe" usw. Sie sind Zeichen eines Ausgrenzungsverhaltens die einer bestimmten Alterstufe vielleicht angemessen sind, aber irgendwann dann auch überwunden sein müssen. Jedenfalls sollte man sich als nachdenkender Mensch - und ein solcher bist Du ja - nicht danach richten. Und wer auch als Erwachsener auf dieser Entwicklungsstufe stehen bleibt, ja, der ist gefährlich, der wählt dann ... na ja, ich will jetzt nicht parteipolitisch werden.
Aber jetzt mal an Deinen Papa, falls er hier mitliest:
Junge, nicht motzen und trotzden, sondern offen ran an den - nein, nicht Feind, sondern - Freund bzw. Deine zwei besten Freundinnen, Deine Frau und Deine Tochter! Mach Kompromisse zwischen Deinem und Ihrem Ideal. Trage Deine Röcke - evtl. nach einer Stilabsprache mit Deinen Damen - möglichst oft, damit kommt dann auch eine Selbstverständlichkeit in Deinen Bewegungen und Deinem Auftreten, so dass sich dann auch andere so sehr daran gewöhnen, dass es ihnen gar nicht mehr auffällt. Das höre ich oft, der ich auch in der Uni als Dozent im Rock unterrichte, dass es einfach zu mir gehört und man gar nicht mehr darüber nachdenkt. Eine Kollegin, die mich nur im Rock kannte, meinte mal, als ich mal eine Hose anhatte, das sehe aber komisch aus an mir. So sollte das sein: Lass es normal werden! Deine Tocher will einen normalen Vater, was für ihr Alter auch normal ist, aber auch Röcke am Vater, am Ehemann, am Mann überhaupt können normal sein. Bei mir sind sie es und bei vielen hier im Forum auch, wenn auch noch nicht bei allen.
Letztlich sind wir doch Gewohnheitstiere.
So, jetzt muss ich was arbeiten, damit meine Studis auch was zu hören kriegen und nicht einen unvorbereiteten Rockträger vor sich sehen.

Lea, ich hoffe, Du bist noch da und meldest Dich auch wieder und lässt Doch von Heinz oder anderen nicht verscheuchen!
LG, Micha