Danke für die netten Worte! Ich merke natürlich auch ein anderes Mindset bei mir, wenn ich jetzt Röcke auf der Arbeit trage. Bei meiner alten Arbeitsstelle war es eine Art Trotzreaktion, Rebellion á la: "Ich lasse mir von euch die Röcke nicht verbieten! Deswegen zieh ich heute wieder einen Rock an!" Jetzt ist es wieder ein: "Auf was habe ich heute Lust? Ach, heute will ich den mal anziehen." Ich kann es nicht anders nennen: Es ist eine Befreiung! Ich trage jetzt wieder Röcke, weil es mir Spaß macht und ich mich entfalten kann, nicht mehr weil ich gegen Widerstände rebellieren will und mich nicht unter lassen kriegen möchte.
Mein Arbeit ist viel freier, weil ich ohne Ängste mich auf meine pädagogische Arbeit konzentrieren kann. Vorher hatte ich immer im Hinterkopf, welchen nächsten Shitstorm es bei der Elternschaft auslösen könnte, wenn ich dies sage oder jenes mache. Was könnte man mir als Nächstes vorwerfen? Wie kann man das nun wieder in eine andere Richtung verdrehen? Ich nenne euch mal ein Beispiel von damals: Meine Kollegin schlug vor, dass wir die Laternen für St. Martin mit Regenbogenfarben machen, weil die Kinder momentan gerne Regenbögen malen. Ich antwortete ihr: "Das kann man wieder gegen mich verwenden. Die Eltern meinten doch schon, dass ich ihre Kinder schwul mache. Dann fangen wir jetzt noch an mit Regenbogenlaternen. Das wird dann wieder als Yoshis LGBT-Propaganda interpretiert." Wegen solchen Kleinigkeiten musste ich mir bereits Gedanken machen und "vorsichtig" sein.
Diese Unsicherheit hat sich natürlich auf die ersten Tage meiner neuen Arbeitsstelle übertragen. Beispielsweise war mein erster Arbeitstag ein Fachtag, das heißt der Kindergarten ist geschlossen, weil das Team pädagogische Konzepte erarbeitet. Ich trug bewusst einen Rock, denn bei meiner letzten Arbeitsstelle trug ich am Fachtag zufälligerweise eine Hose, weil ich an dem Tag ganz einfach nur eine Hose tragen wollte, und diese Kleidungswahl letztendlich zu Problemen führte. Die Eltern betrachteten nämlich damals die Fotos vom Fachtag, die einige Tage später am Schwarzen Brett hingen und beschwerten sich beim Team: "Yoshi trug beim Fachtag eine Hose. Der trägt doch Röcke extra nur, damit er die Kinder beeinflusst. Wieso trägt er eine Hose, wenn keine Kinder dabei sind? Das ist doch auffällig." Deswegen trug ich diesmal einen Rock, um dem vorzubeugen. Was ich damit sagen will: Die negativen Erfahrungen haben mein Denken beeinflusst, Ängste und Sorgen entwickelt, die ich vorher nicht hatte und die ich jetzt wieder nach und nach abbaue. Bisher gelingt mir das sehr gut, aber das geht nicht von heute auf morgen, sondern benötigt seine Zeit.
Ich habe mich bei der alten Arbeitsstelle zwar nicht einschüchtern lassen und habe weiterhin Röcke getragen, aber eher dezentere und in Ausnahmefällen mal was außergewöhnliches. Jetzt beschränke ich mich nicht so sehr auf die "light version", sondern zieh einfach an, worauf ich an dem Tag Bock habe. Wenn ich das David Bowie-Outfit anziehen möchte, ziehe ich es an und überlege nicht "Wie fit fühlst du dich heute, um einen möglichen Angriff zu kontern?" Die verbalen Angriffe wurden zwar nie persönlich bei mir geäußert, aber mir wurden die Beschwerden ja von den Kolleginnen zugetragen und ich habe auch die Mails gelesen. Ich bin zwar psychisch stabil, aber das macht einen auf Dauer kaputt und wir reden hier nur von sechs Monaten! Jedenfalls ist meine Quote an extravaganten Outfits erheblich gestiegen, denn ich trage es, wenn ich es will und nicht nur wenn ich mich an dem Tag besonders widerstandsfähig und stark gegenüber Hatern fühle. Es macht auch riesigen Spaß, wenn man so begeisterte Reaktionen zurückbekommt. Ich bin jetzt zwar nicht abhängig von Euphorie und Beifallsbekundungen, aber ich kann nicht leugnen, dass es mir unheimlich gut tut und es sich sehr positiv auf meine Selbstsicherheit und Psyche auswirkt. Deswegen auch nochmal eine Entschuldigung an dieser Stelle, wenn ich auf Outfitkritik etwas empfindlicher reagiert habe als sonst. Es war einfach eine wirklich schwierige Zeit für mich! Mittlerweile poste ich auch wieder Bilder von Outfits, weil ich mich damit wohl fühle.
Es ist auch befreiend, sich nicht jeden Tag vor den Kindern "rechtfertigen" zu müssen, dass man Röcke, Nagellack, rosa, Stiefeletten, Leggings, etc. trägt. Auf Dauer war es wirklich zermürbend mich für jedes einzelne Kleidungsstück bei den Kindern zu erklären, weil die Eltern sagen, dass ich was "Verbotenes" mache ("Nagellack ist bei Jungs verboten."), Fragen bezüglich meiner Sexualität zu hören ("Hast du einen Mann Zuhause?") oder mich beschimpfen zu lassen ("Geh nach Hause und zieh dir eine Hose an.") Selbst wenn ich ein klassisches "männliches" Outfit aus Hose, Hoodie und Sneakers trug, wurde das zum Diskussionsthema gemacht. Jeden Tag und egal, was ich anzog - es stand immer zur Debatte! Anfangs waren die Kinder nicht so, das wurde ihnen eingepflanzt von den Eltern, von denen sie für ihre Zwecke missbraucht wurden. Jetzt ist es so, wie ich es von Kindern normalerweise kenne. Den Großteil bockt es nicht, ein Teil ist interessiert und überrascht, fragt nach dem "Warum?" und damit ist das Thema abgeschlossen oder sie finden es toll und kommen immer wieder, weil sie fasziniert sind von dieser Abweichung und mich gerade deswegen so cool finden.
Ich habe nun endlich mit dem Thema abschließen können. Die zwei Monate ohne Arbeit haben gut getan, um das zu verarbeiten, aber sie waren auch nicht leicht für mich, weil ich natürlich große Ängste entwickelt hatte, was bei mir sogar zeitweise zu schweren Panikattacken führte, bei denen ich dachte, dass ich gleich ersticke oder einen Herzinfarkt bekomme. Es hat auch meinen Blick auf Queerfeindlichkeit geändert und mich für diese Themen nochmal mehr sensibilisiert, aber auch emotionalisiert. Aus solidarischem Gleichgerechtigkeitssinn wurde es durch eigene Betroffenheit auch zum persönlichen Thema für mich. Man kann es viel besser nachempfinden, wenn man es am eigenen Leib erfahren hat. Wie Hirti bereits sagte: es war absolut die richtige Entscheidung zu wechseln und ich habe vieles zurückgewinnen können: Freiheit, Wertschätzung, Gelassenheit, Lebensfreude oder kurz gesagt: meine Lebensqualität hat sich dadurch exorbitant verbessert!
Nochmal vielen Dank für die ganze Unterstützung, netten und aufbauenden Worte, die offenen Ohren und Kommentare hier im Forum. Das war eine große Hilfe, die auch einen Anteil an meiner positiven Wendung in den letzten Wochen und Monaten hatte. Deswegen danke an jeden, der sich daran beteiligt hat.