Bei mir als Transfrau wird es noch eine zeitlang dauern oder gar unmöglich das ich äusserlich als Frau durchgehe. Persönlich denke ich das mein Passing niemals komplett passen wird. Ich kenne diese Situationen auch zur Genüge. In den letzten 2 Jahren ist es aber leider merklich gefährlicher geworden. Waren es früher nur Beleidigungen sind es heute Handgreiflichkeiten. Aufgrund meiner Erfahrungen nutze ich den Öffentlichen Nahverkehr zum einen nur morgens um z.B. manchmal zur Arbeit zu fahren oder zu anderen Zeiten NUR in Begleitung von Freunden/Kollegen. Mittlerweile werde ich bei Feiern etc. auch immer gefragt wie ich nach Hause komme und wer mich begleitet. Ansonsten nutze ich UBER für meine Heimfahrten. Es ist traurig das man sich in unserem einst so schönen Land nicht mehr sicher bewegen kann.
Wie ich lese, kommst du aus Köln und dazu habe ich auch zwei kleine Storys:
An anderer Stelle beschrieb ich, dass ich beim Frankfurter CSD en femme gekleidet war. Wenige Wochen darauf habe ich einen Tagesausflug von Frankfurt nach Köln gemacht und mich ebenso als Frau verkleidet. Sozusagen als kleines Experiment, ob die Menschen anders reagieren. Ich war sogar in Köln-Kalk unterwegs und hatte bei manchem Leuten schon etwas Bammel vorbei zu laufen. Vor allem bei so Halbstarken mit Migrationshintergrund am Bahnhof. Es ist aber nichts passiert. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich an dem Tag im Allgemeinen viel weniger Blicke zugeworfen bekam, als wenn ich als Mann erkenntlich im Rock unterwegs bin. Röcke an weiblich gelesenen Personen sorgen nicht für Verwunderung wie bei einer männlich gelesenen und es hat mir gezeigt, wie sexistisch diese Gesellschaft eigentlich ist. Mit weniger Selbstsicherheit fiel ich somit sogar weniger auf als sonst. Das ist jetzt natürlich nur die Erfahrung von einem Tag, die ich nicht als repräsentativ ansehe und meine Freunde sagen, dass ich mit Perücke und geschminkt sehr überzeugend aussehen würde. Es gab aber schon vereinzelte lüsterne Blicke von manchen Männern (sowohl europäischer Herkunft als auch anderweitig) und ich war froh, dass mich keiner angebaggert hat. Wirklich interessant mal die Perspektive zu wechseln. Es gibt einiges was mich am Mannsein stört, aber als Frau würde ich auch nicht leben wollen.
Meine zweite Story aus Köln geht um einen jungen Femboy von dort, den ich über das Internet kennen gelernt habe und mit dem ich mich mal treffen möchte. Er hat einen türkischen Migrationshintergrund und ist aufgrund von persönlichen Erfahrungen ziemlich schlecht auf die muslimische Community zu sprechen. Mit seiner Familie hat er keinen Kontakt mehr und in seinem Stadtteil geht er nicht in Röcken raus. Der Stadtteil hat einen hohen Migrantenanteil und er hat ziemlich negative Erfahrungen machen müssen. Er wurde mehrmals beleidigt und bedroht auf der Straße, weswegen er sich nur noch privat oder auf Anime Conventions so anzieht, wie er es gerne möchte.
Ich habe viele junge Männer kennen lernen dürfen, die meisten online, manche aber auch schon im echten Leben, die ähnliche schlechte Erfahrungen gemacht haben und sich deswegen nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen. Wir reden hier von Städten wie: Hagen, Oldenburg, Paderborn, Köln, Berlin oder Mainz. Da ging es nicht nur um Beleidigungen, sondern ich kenne auch Betroffene von krankenhausreifen Angriffen und ich kenne sogar ein Fall von Vergewaltigung. Die Täter waren auch häufig Deutsche mit rechtsextremen Hintergrund. Genauso kann ich aber auch andererseits von vielen jungen Männern berichten, die öffentlich Röcke tragen und kaum bis gar keine negative Erfahrungen gemacht haben. Auch viele die bisher keine Probleme mit Migranten hatten und ganz im Gegenteil schon positive Reaktionen für ihre Outfits von ihnen erhielten. Es ist leider nicht so Schwarz-Weiß, wie viele es hier immer sehen wollen. Damit meine ich sowohl die rechte als auch die linke Bubble.
Ich finde es auch immer sehr vermessen, wenn hier Forenmitglieder behaupten: "Es liegt nur an dir, deinem Auftreten und deiner Aura, ob du blöd angemacht wirst." Natürlich bewirkt ein unsicheres Auftreten eher, dass man als schwach wahrgenommen wird so á la "Mit dem kann man es ja machen.", aber nur wer selbstbewusst auftritt, ist nicht unantastbar vor Diskriminierung oder Gewalt, wie manche es hier darstellen. Manchmal klingt es für mich wie so ein Victim Blaming: "Selbst Schuld, wenn du nicht selbstbewusst genug auftrittst." Das mag aller Voraussicht nach nicht so gemeint sein, aber das schwingt in dieser Aussagen häufig so ein bisschen mit und kommt vielleicht bei manchen auch so an. Es hängt halt viel vom Umfeld ab, welche Erfahrungen man macht und lässt sich nicht verallgemeinern.
Es freut mich für jeden, der noch keine schlimmen Erfahrungen machen musste. Der Gedankengang "Ich hatte noch nie Probleme, weil ich selbstbewusst auftrete." ist natürlich ein unbewusster psychologischer Schutzreflex des Gehirns, der in der menschlichen Psyche häufig auftritt. Sozusagen "Sowas schreckliches passiert in der Welt, aber das passiert immer nur den Anderen." Man sucht dann Gründe, warum es denen passiert ist und einem selbst noch nicht. Letztendlich kann sowas immer passieren, egal was man trägt, egal wie man auftritt, egal wie selbstbewusst man ist. Bei einer großen gewaltbereiten Männergruppe hilft dir ein selbstbewusstes Auftreten recht wenig, wenn du auf dem Boden liegst und auf dich eingetreten wird. Man muss nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein, um auf die falschen Leute zu treffen.
Die Gefahr besteht auch nicht erst seit paar Jahren, wie es gerne in Medien und von sowohl rechter als auch linker Seite gerne behauptet wird. Diskriminierungen gab es schon früher und ich habe schon verbale Angriffe auf Transpersonen vor vielen Jahren mitbekommen, die teils ein oder sogar zwei Jahrzehnte zurückliegen. So Idioten gab es schon immer und alles in allem würde ich immer noch sagen, dass die Gesellschaft offener und toleranter geworden ist als vor zwanzig, dreißig Jahren. Ich kann natürlich nur von meinem Umfeld und meinen Erfahrungen erzählen, die nicht für alle Lebenswelten zutreffen müssen.