Interessant, Michl:
Das Gefühl, weniger ernst genommen zu werden, aufgrund abweichender Kleidung.
Ich nehme das in dieser Weise nicht wahr, obwohl dieser Gedanke ja naheliegen könnte.
Ich nahm Deine Worte mal zum Anlass, um ein wenig in meine Geschichte hineinzuhorchen, hineinzufühlen.
Wegen eines anderen Zusammenhangs derzeit in meinem Kopf - entsprechender Forumsbeitrag wird folgen;
EDIT: folgte - dachte ich primär daran, dass ich manchmal - sehr vereinzelt - schon mal das Gefühl hatte, in der Gastronomie nicht bedient oder sehr schlecht bedient worden zu sein; ja, bisweilen auch abgelehnt ("alles reserviert") worden zu sein. Nicht selten hat sich hinterher es aufgeklärt, dass wirklich alles reserviert war (was allerdings nur selten sich aufklären lässt), die Bedienung nur schlecht war, oder dass ein menschlicher Fehler z.B. bei Klärung von Zuständigkeiten (z.B. "Dein Tisch!", "Nee, Dein Tisch!") vorlag, oder man wegen Überlastung tatsächlich einfach nur vergessen worden ist. Oft fühlte ich mich schon bewusst vernachlässigt, während sich später alles mit einer Herzlichkeit, Freundlichkeit und mit großen Entschuldigungen aufklärte.
Dennoch ein paar Restvorkommnisse bleiben übrig, wo die Ablehnung vielleicht wirklich eine Rolle spielte.
Bleiben wir auf dem Feld der Gastronomie. Früher ernährte ich mich deutlich häufiger von Kebab oder Börek als inzwischen. Und betrat ich ein für mich neues solches Steh- oder Straßenrestaurant, begleitete mich oft das Gefühl, ggf. auf Verachtung und Ablehnung zu stoßen bei Personal und den oft da daueranwesenden Stammgästen. Mein eigenes Vorurteil über deren Vorbehalte und die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen ohne zu verstehen, was sie reden, ließ dieses dumpfe unterschwellige Gefühl aufkommen. - Gut in diesem Zusammenhang ist, wenn man auf die Schlüsselworte "adam" (Mann) und "etek" (Frauenrock) achtet, letzteres nicht zu verwechseln mit "ekmek" (Brot). -
Es gibt viele Möglichkeiten, neben verbal in einer mir unverständlichen Sprache diffamiert zu werden auch noch schlechter bedient zu werden... ...weniger Fleisch, ungares Fleisch, weniger Gemüse, irgendeine Zutat willentlich weggelassen oder willentlich die falsche Soße etc., begleitet vom Wissen über den Skandal, wo früher eine bewusst schlechte, verunreinigte Soße bereitgehalten wurde für unliebsame Gäste oder Deutsche. - Fast nie hat sich mein unterschwelliges Gefühl meines Vorbehaltes bestätigt. Ich bin fast immer zuvorkommend und fair behandelt worden. Meine Sorgen waren fast immer unbegründet.
Dieser Gastro-Bereich ist ja nur eine Ebene des alltäglichen Lebens, den man aber ein bisschen als Gradmesser nehmen könnte, wie fremde Leute auf Dich reagieren und mit Dir umgehen. Freilich mag das Interesse von Gastronomen an meinem Geld größer sein, als meinen Anblick aus seinem Gastbereich sofort oder auf Dauer zu verbannen.
Ich glaube - wenn ich meinen Werdegang in Rock und Kleid beleuchte -, am Anfang unter Menschen hatte ich das Gefühl, alle (fast alle) finden mich einfach nur daneben, peinlich oder lächerlich. Manche sprachen ja auch Flüche über mich aus, andere verhöhnten mich lautstark auf Plätzen und Straßen. Das alles kam ja gar nicht selten vor, zu Anfang "meiner Zeit".
Später hat das sehr nachgelassen. Die Gesellschaft ist gereift. Ich bin gereift. Ich konnte über Angriffe drüberstehen. Ich habe auch einen etwas gesicherteren Modestil entwickelt, der weniger Angriffsfläche zur Lächerlichkeit geboten hat. Ich konnte besser reagieren, und über Ablehner hinweglächeln oder sie mit meinem Lächeln als Gegenreaktion für mich gewinnen...
All das hat mich sicherer in meinem Auftreten gemacht.
Und nach dieser ersten Phase der Unsicherheit (die bei mir viele Jahre dauerte) sickerte ich auch, mental gefestigt, allmählich in die normale Alltagswelt ein. Ich hatte keine Vorbehalte mehr, im Rock zum Arzt zu gehen. Ich überlegte nicht mehr, ein Restaurant zu meiden, weil ich Angst vor Ablehnung wegen des dortigen gehobeneren Flairs befürchtete. Ich konnte auch mehr auf Menschen zugehen. Ich konnte meine Freunde in meine Bekleidungslieben einweihen. Die Verwandtschaft begann, sich daran zu gewöhnen oder damit abzufinden, etc.
In dieser zweiten Phase (mit unterschiedlichen Teilgeschwindigkeiten, auch was die Arbeit betrifft) war ich unter den Menschen angekommen - und hatte auch intensiveren Kontakt, ja, da musste ich langsam, ganz langsam hie oder da auch mich erst beweisen, ernst genommen zu werden. Ja, nachdem die erste Phase der
eigenen Vorbehalte gegen die Meinung der anderen abgeschlossen war, eröffnete sich eine Phase, wo ich mit eigener Energie tatsächlich
die Vorbehalte einiger anderer Mitmenschen aufbrechen musste.
Vielleicht bist Du gerade in einer ähnlichen "Entwicklungsstufe". Solche Phasen enden nicht eben und jetzt und eine neue Phase beginnt, sondern sie gehen langsam ineinander über - und geschehen auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlich schnell.
Ich denke, diese zweite Phase ist bei mir in der Tat praktisch völlig abgeschlossen. Und das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, hat sich massiv gelegt. Im Gegenteil, inzwischen glaube ich, gerade wegen meiner Normabweichung öfter ernster genommen zu werden, mehr geachtet zu werden, gegenüber von als wäre ich noch derselbe Hosenmatz von einst, oder gegenüber von ganz wenig vereinzelten Menschen, die mich noch immer eher ablehnen. Ich glaube, heutzutage werde ich von den Menschen in ähnlichem Maße gemocht und von anderen abgelehnt, wie es der Fall wäre, würde ich dem allgemeinen Erwartungsbild (also Hosen) entsprechen.
Nur, heute sind es die richtigen Leute, die, die besser zu mir passen. In einem aufgezwungenen Hosenleben wären eben etliche richtige Leute nicht dabei, weil sie keine Chance hatten, mein Inneres kennenzulernen; und es wären etliche scheinbar "richtige" Leute dabei, die aber nicht zu meinem Inneren passten, also kurzum einige falsche "richtige".
Tja, schade, dass diese Betrachtung jetzt im Thread "Soldaten im Kleid" untergeht. Und schade, dass wir jetzt so viel eher offtopic-Worte hier im Thread haben.
Aber das musste ich jetzt mal an dieser Stelle nachdenken und niederschreiben.
Vielleicht, Michl, findest Du da einiges, was auch zu Deinem Werdegang Ähnlichkeiten aufweist.