Lieber Yoshi,
Danke für Deinen ausführlichen Beitrag. Gerade die Schilderung der Situation am Mainzer Hauptbahnhof von vor zwei Jahren schockiert mich, aber ja, ich erinnere mich, dass eine passende Meldung durch die örtlichen Medien ging.
Spätestens seit der Schaffung des 9-Euro-Tickets (am 01.06.22) bin ich wöchentlich mindestens 5 bis 6 Mal zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten am und im Mainzer Hauptbahnhof unterwegs - verstärkt zu Zeiten rund um Mitternacht. Auch wohnte ich bis vor gut 10 Jahren für 20 Jahre im Umfeld, die Hälfte davon sogar in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Ich kann nicht, schon gar nicht in letzter Zeit, von vergleichbaren Erlebnissen berichten. Verbale Nachrufe gab es bis vielleicht vor 15 Jahren vielleicht mal vereinzelt, aber von unmittelbaren Konfrontationen kann ich nicht berichten.
Vielleicht hatte ich diese Hunderte, Tausende Male einfach nur Glück. Oder ich weiss nicht, was ich ausstrahle oder nicht ausstrahle, was mich vor solchen Angriffen schützt.
Auch erinnere ich mich an Samstag, als ich zur Mitternachtszeit an und in den Hauptbahnhöfen in Wiesbaden und Mainz alleine unterwegs war, besonders an die S-Bahn-Fahrt dazwischen. Die ganze lange S-Bahn war voll, so dass etliche stehen mussten (ich fand noch einen Platz). Und sie war voll von auffallend jungen Leuten, die meisten in größeren Gruppen, z.T. über größere Sitzreihen und Steheinheiten (besonders im Türbereich) verteilt. Entweder kamen sie gerade von einer Unternehmung, scheinbar waren die meisten aber erst gerade aufgebrochen, um zu einer Unternehmung zu gelangen. Oft war das Vorglüh-Bier in der Hand. Und die Stimmung war aufgeheitert, aufgedreht - und auffallend überwog auch der nicht rein deutschgeprägte Kulturhintergrund der überwiegend männlichen Grüppchen.
Das war eine Situation, in der ich mich nur bedingt wohlfühlen konnte.
Und doch erreichte ich gut und unbelastet meinen Zielort. Nichts geschah, niemand beäugte mich verstohlen, niemand ließ mir irgendeine geringschätzige Reaktion zukommen, vermutlich hat auch niemand darüber gesprochen, soweit ich die Sprachen und Reaktionen dahingehend beurteilen konnte.
Anderes Beispiel, gerade von gestern. Ausgerechnet als ich auch alleine den Bus zur Mainzer Stadtmitte nehmen wollte, hatte eine nahe gelegene Schule Schulaus für etliche Klassen. Es kamen mehr und mehr plusminus 16-jährige an meine Haltestelle und auch zu der gegenüberliegenden Haltestelle, sie konnten mich auch von weitem aus schon prima sehen. Nach gut 8 Minuten Wartezeit stieg am Ende die Anzahl von zwei, drei Klassenstärken in meinen Bus ein. Ich bekam sogar noch einen Sitzplatz und ohne dafür zu drängeln. Weder beim Warten, noch beim Fahren oder beim Ein- oder Aussteigen gab es einen Hauch von Piep irgendeiner wie auch immer gearteten Reaktion auf mich. Nichts ist geschehen. Vor 20 Jahren wäre das deutlich anders gewesen.
Wie ich so rumlaufe, kann man ja fast täglich in der Rubrik "Was habt ihr gestern getragen?" sehen. Zu den beiden Schilderungen von eben gibt es auch die passenden Bilder zu sehen (
zufälligerweise im selben Beitrag), hier mal kurz ein Einblick:
Samstag Nacht:
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.https://up.picr.de/50350898mg.jpgGestern tags:
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.https://up.picr.de/50350860kv.jpg
Dir gehört mein Mitgefühl, dass Du diese Situationen erleben musstest.
So etwas kann extrem verunsichern. Die von der Haltestelle wollten das ja auch auf alle Fälle. Wenn Du deswegen solche Situationen in Zukunft meidest, dann gibt das denen Recht.
Ich kenne das u.a. aus den 90ern. Gerade z.B. in Frankfurt, Konstablerwache, oben auf dem Platz. Vor allem freitags ab dem Nachmittag herrschte da eine aufgeladene Stimmung. Etliche "rumlungernde", "marodierende" Jugendgruppen oder jüngere Erwachsene hingen da ab und kommentierten alles, was da vorbeikam. Eine sehr konfliktreiche Atmosphäre.
Wie ich das erkannt habe, habe ich auf Verdeih und Verderb eine Passage da besonders zu den fraglichen Zeiten gemieden.
Irgendwann ging ich hin, das bewusst nicht mehr zu meiden. Sondern bewusst mich dieser Situation zu stellen.
Und meine Erfahrungen zeigten, auch in Begegnung mit anderen Jugendgruppen oder gelangweilten Erwachsenengruppen andernorts, dass das bewusste Nichtvermeiden sehr hilfreich ist, tatsächlich diese Konfrontationen zu vermeiden. Scheinbar wirkt man anders, wenn man sich eben genau von solchen Begegnungen nicht einschüchtern lässt. Inzwischen kann ich in solche Begegnungen schon mit einem äusseren Lächeln hineingehen - auch auch wieder hinausgehen. Lächeln, dass nichts, gar nichts passiert ist. Oder Lächeln, dass es Spaß gemacht hat, trotz einer Reaktion mit einem Gefühl des Gewinnens (des Gewinnens an Sympathie) aus diesen Begegnungen wieder hinaus zu gehen.