Hallo Micha,
Vielleicht sollten wir unterscheiden, ob wie mir "männlichen und weiblichen Anteilen" biologische oder kulturelle Geschlechtsspezifischkeiten meinen.
In meinem Fall weder noch. Ich meine die Identität...
Und bei Joe bin ich mir nicht sicher. Aber wahrscheinlich sieht er es auch so, dass die Anteile kulturell in männlich und weiblich aufgeteilt sind.
Ja und nein. Ja, die kulturelle Aufteilung gibt es natürlich - ebenso wie die biologische. Aber daneben gibt es eben noch die Identität, das "Was bin ich?". Wenn ich von männlichen und weiblichen Anteilen spreche, dann sind das Elemente dieser Identität. Das ist das, was ich versucht habe, mit der Schülergruppe zu erklären, aber Analogien sind immer etwas schwierig zu übertragen. Ich versuche das mal etwas umfassender aus meiner Sicht zu erklären, damit es klar wird. Ich muss dazu aber ziemlich weit ausholen und erstmal den Sinn des Lebens erklären.
Also festhalten, das ist harter, esoterischer Stoff.

Das Leben, das wir führen, ist eine Simulation, ein Holodeck, eine virtuelle Realität, quasi ein Freizeitpark. Den besuchen wir, um mit unserem individuelleen Charakter Erfahrungen zu machen - manche geplant, viele ungeplant.
Mit jedem Besuch hier entsteht quasi ein neues "Erfahrungspaket", das zu einem Teil unserer Gesamtidentität wird. So wie jeder Urlaub, den wir machen, ein in sich geschlossenes Erfahrungspaket ist und unsere damalige Identität beinhaltet, mit der wir die Erfahrung gemacht haben.
Für jeden Besuch der physischen Realität können wir Zeit, Umstände und Ziele neu auswählen - und natürlich können wir auch den biologischen Körper wählen. So sammeln sich im Lauf der Besuche sowohl "männliche" als auch "weibliche" Erfahrungspakete an, die wir quasi als Einzelindividuen sehen können (die Schüler in meiner vorigen Analogie). Sie sind Teil unseres Ichs, bilden unser Unterbewußtsein und wirken sich auf unser aktuelles Leben aus - wenn wir sie lassen.
Das, was unseren aktuellen individuellen Charakter ausmacht, basiert also auf unterschiedlich vielen männlichen und weiblichen Erfahrungen, die Teil unseres Unterbewußtseins sind und sich eben auch ausdrücken möchten. Inwieweit das möglich ist, hängt von unseren Normen und Werten ab, die das "gesellschaftliche Geschlecht", das Rollenmodell, bilden. Dieses Rollenmodell basiert in der Regel auf dem zugewiesenen biologischen Geschlecht und liegt wie ein Filter über unserer Gesamtidentität. Als Mann lassen wir daher bei funktionierendem Rollenmodell keine femininen Anteile zu Wort kommen und umgekehrt.
Wir haben also mehrere Ebenen: Wir haben unsere eigentliche Identität mit ihren männlichen und weiblichen Anteilen und deren Erfahrungen und wir haben darüber einen gesellschaftlichen Filter (die Rollenmodelle). Das alles sitzt in einem biologischen Körper, dem wir dann anhand bestimmter körperlicher Merkmale ein Geschlecht zuweisen. Voila - ein Mensch.
Dieser Mensch, diese Identität, will sich in der physischen Realität ausdrücken und nun hängt es davon ab, was im Spannungsfeld zwischen Identität, Rollenmodell und Biologie daraus wird.
Bei mir bspw. ist das Rollenmodell, der Filter, nur noch schwach wirksam - deshalb kann sich meine gesamte Identität mit allen männlichen und weiblichen Anteilen ausdrücken und das zeigt sich unter anderem darin, dass ich das trage, was mir gefällt und nicht das, was mir das Rollenmodell vorschreibt. Wenn ich mir einen Lidstrich ziehe, einen Rock anziehe oder bei emotionalen Filmen Tränen vergieße, dann sind das die femininen Anteile, die sich ausdrücken. Wenn ich Holz hacke, meinen Bart stutze oder mich gegen jemanden körperlich verteidige, sind es die männlichen. Bei mir koexistieren diese Anteile friedlich, weil ich die oben beschriebenen Ebenen als Spektrum wahrnehme und daher auch das binäre Modell aufgegeben habe. Je nach Situation kommen dann einfach mal mehr die weiblichen oder mehr die männlichen Anteile zu Wort. In Schubladen wäre das genderqueer oder genderfluid.
Bei anderen, die das binäre Modell verinnerlicht haben, geht das nicht - sie müssen sich zwansgläufig immer für eine bestimmte Seite entscheiden. Sind die männliche und weibliche Anteile ungefähr gleich verteilt, springen sie zwischen ihnen hin und her. Schublade: Teilzeit-Crossdresser.
Bei wieder anderen sind die Spannungen größer: Angenommen, die bisherigen Erfahrungen hat man vor allem mit weiblichen Körpern / Identitäten gemacht, dann ist die Identität in Summe auch weiblich. Wählt man nun für den nächsten Besuch - weil man diese Erfahrung machen will - einen männlichen Körper, dann gibt das unter Umständen einen Konflikt: Man ist in tiefster Seele weiblich, hat aber keinen weiblichen Körper und damit sind wir bei Gender-Dysphorie, Crossdressing und Transgender.
Über all dem liegen noch mindestens zwei weitere Ebenen: Die sexuelle und die romantische Präferenz. Auch die kommen ursprünglich von unseren "Einzelidentitäten" und werden durch die Rollenmodelle gefiltert. Man sieht das mitunter bei Crossdressern, die im "Männermodus" nur Frauen attraktiv finden, aber im "Frauenmodus" vollständig umschalten, quasi eine andere Person sind und dann durchaus auch auf Männer stehen.
Das ist so gesehen die Basis auf der alle meine Aussagen zum Thema Gender derzeit basieren. Ich hoffe, es ist halbwegs nachvollziehbar...

Wir müssen aufpassen, nicht aneinander vorbeit zu reden/schreiben.
Was bei diesen Themen wirklich nicht einfach ist...